Eines haben uns unsere Hunde voraus: sie lesen all die Ratgeber, Trainingsmethoden und Erziehungstipps, die so viele Menschen verunsichern, nicht. Hunde verlassen sich auf ihre Instinkte und diese haben sie gut durch die Jahrhunderte gebracht.
Noch immer wird den frisch gebackenen Welpenbesitzern erzählt, dass das Wichtigste für den kleinen Hund der Besuch einer Welpenspielgruppe sei. Dort würde der Hund durch Herumtollen mit anderen Welpen gut sozialisiert und auf sein späteres Leben vorbereitet. Der kleine Hund soll sich im Grunde selbst sozialisieren und von anderen Welpen alles lernen, was er für sein späteres Leben braucht.
In den vergangenen Jahren aber wurde durch behördliche Anordnungen auch der Betrieb von Hundeschulen verboten. Vereinzelt gab es Genehmigungen, damit Hundetrainer mit den Hunden arbeiten konnten. Die Besitzer aber mussten draußen bleiben! Wie so eine gute Beziehung zwischen Mensch und Hund wachsen soll, ist mir unbegreiflich. Dass viele dieser kleinen Hunde nach kurzer Zeit wieder zum Züchter zurückgebracht oder im Tierheim abgegeben wurden, überrascht daher nicht. Viele Tierheime melden mittlerweile "Land unter" immer noch mit sog. Lockdownhunden.
Durch die Lockdowns ist das Onlineangebot auch beim Hundetraining sprunghaft in die Höhe geschossen, doch auch hier liegt die Schwäche im Detail. Bei allen Tipps, Tricks oder Methoden geht die Individualität, sowohl von Hund als auch von Mensch, völlig unter. Es wird trainiert und probiert und anschließend häufig auch resigniert. Auch wenn man es noch so oft versucht, wird man Lebewesen niemals auf Dauer in ein Schema pressen können.
Die vielen ausgefallenen Welpenspielstunden können uns aber auch lehren, dass ein Besuch entgegen dem Rat vieler Experten, kein zwingendes Muss ist.
In meiner Arbeit stellt sich häufig heraus, dass viele spätere Probleme zwischen Mensch und Hund in diesen "Spielgruppen" ihren Ursprung haben. In vielen dieser Welpengruppen sollen sich die jungen Hunde im Grunde selbst sozialisieren. Zu Beginn der Stunde heißt es häufig "Leinen los" und die Menschen erfreuen sich an dem munteren Spiel der jungen Hunde. Übersehen wird dabei gerne, dass die Welpen während dieser Zeit Hund lernen und das, was viele Menschen später Problemverhalten nennen, sich spielerisch aneignen. Dazu gehören Verhaltensweisen wie jagen, wachen, schützen oder auch verteidigen.
Es verwundert daher nicht, dass sich unter den sog. Problemhunden zunehmend auch junge Hunde wiederfinden. Doch warum ist das so?
Ein sich seit Jahren durchziehender Fehler im Umgang mit unseren Hunden liegt in einer falschen Interpretation von Begriffen, die in ihrer wahren Bedeutung kaum unterschiedlicher sein können.
Beziehung:
Eine Beziehung haben Individuen oder Gruppen dann, wenn ihr Denken, Handeln oder Fühlen gegenseitig aufeinander bezogen ist.
Bindung:
Bindung bedeutet, dass sie der Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Nähe und damit u.a. der Arterhaltung dient. Mit Training oder lautstarken Kommandos hat das nichts zu tun.
Erziehung:
Erziehung bedeutet, dass die sozialen Kompetenzen im Umgang mit Beziehungspartnern, Umwelt und Gesellschaft gefördert werden.
Training/Ausbildung:
Mit dem Üben von (Grund)Kommandos aber sind wir in der Ausbildung oder auch formales Lernen. Das Beherrschen dieser Kommandos ist aber kein Indiz dafür, ob sich unsere Hunde auch sozialadäquat im Umgang mit Beziehungspartnern, Umwelt und Gesellschaft verhalten.
Wir erleben es tagtäglich z. B. auf unseren Gassigängen mit den vielen Hunden, denen wir eine "Leinenaggression" attestieren.
Was also tun?
Zieht ein Welpe ein, gilt zunächst "weniger ist mehr"! Besonders Welpen brauchen Ruhe, sehr viel Ruhe. Dies bedeutet, dass Welpen bis zu 22 Stunden am Tag dösen, ruhen oder schlafen. Auch wenn viele Menschen ein Problem mit solch einem ruhigen Hund haben, ist das ganz normales Verhalten. Alles andere ist von Menschen gemacht und vollkommen entgegen der Natur eines Hundes. Zählt man zu dieser Ruhezeit noch die Zeit des Fressens und die häufigen, aber kurzen Gassigänge hinzu, bleibt kaum noch Zeit für ausgiebige Zerr- oder Ballspiele.
Nicht unterschätzen sollte man auch die Zeit, die ein Welpe benötigt, um all seine neuen Erlebnisse und Erfahrungen zu verarbeiten. Zieht ein Welpe bei Ihnen ein, gilt daher zunächst für Mensch und Hund: "In de Ruhe liegt die Kraft".
Arbeiten Sie die wenige wache und kostbare Zeit an einer guten Bindung und Beziehung, damit der kleine Hund lernen kann, wie er sich richtig verhält. Dann erübrigt sich auch das spätere *Üben und Üben und Wiederholen von lautstarken Kommandos wie Nein! Aus! Pfui!.
Nutzen Sie diese prägende Zeit des Zusammenlebens, um Ihren Welpen mit all seinen Stärken, Schwächen aber auch Kompetenzen kennenzulernen und zu lernen, mit diesen umzugehen. Unterstützen Sie ihn in seinen Schwächen und fördern Sie seine Stärken.
Führen und begleiten Sie ihn, damit er das werden kann, was Sie sich wünschen: ein ruhiger und ausgeglichener Begleiter, der seinen Menschen treu zur Seite steht.
Dazu ist es wichtig, dass Sie Regeln aufstellen und Grenzen setzen. Durch diese bekommt der Welpe die für ihn so wichtige Orientierung und auch Sicherheit. Erziehen Sie ihn liebevoll, aber konsequent und bleiben Sie bitte stets geduldig. Lernen fürs Leben braucht seine Zeit.
Fallen Sie nicht auf den noch immer vorherrschenden Irrtum herein, dass Sie nur ein kleines Zeitfenster von 12 Wochen haben, in der der kleine Hund alles lernen muss, man nennt es Prägephase. Beobachten wir Hunde können wir lernen, dass dem nicht so ist. Hunde lernen ein Leben lang, wenn wir ihnen als verlässlicher Partner zur Seite stehen. Wer meint, seinen Welpen innerhalb weniger Wochen durch alle Herausforderungen des Lebens hetzen zu müssen, tut dem kleinen Kerl keinen Gefallen, im Gegenteil. Der Welpe lernt Stress, Hektik und häufig wird bereits hier die Grundlage für einen ängstlichen Hund gelegt, weil der Mensch seinen Hund völlig überfordert hat.
Erst wenn der Mensch sich ändert, haben unsere Hunde eine wirkliche Chance, in unserer Welt bestehen zu können. Dazu aber müssen wir Hunde wieder sehen, wie und was sie sind und nicht, wie wir sie sehen wollen oder sehen sollen.
Dazu gehört auch die Einsicht, dass Welpen kein "Spielzeug", weder für Groß noch für Klein, sind. Ist die Grundlage des zukünftigen Zusammenlebens gelegt, kann der nächste Schritt gegangen und mit dem Training oder der Ausbildung begonnen werden.
Welpen können sehr herausfordernd und auch anstrengend sein, besonders wenn man sie nicht zur Ruhe kommen lässt, vielen meist falschen Tipps und Tricks vertraut und die Welpen völlig überdreht. Doch diese Zeit durchzuhalten und seinen Fokus mehr auf Ruhe und Gemeinsamkeit zu legen, anstatt auf Dauerbeschäftigung, kann den Hund zu der Persönlichkeit wachsen und reifen lassen, der er wirklich ist.
Und die beste Welpenschule ist immer noch ein gesunder Menschenverstand, das Herz am rechten Fleck und das Wissen um Hunde, wie sie wirklich sind und was sie wirklich brauchen.
©Marion Höft
Comments