"Normal" - was soll das sein?
- marionhoeft
- 17. Mai
- 4 Min. Lesezeit

Wie oft hören wir „das ist nicht normal, normal tut man sowas nicht" oder „Ihr Hund verhält sich nicht normal".
Wer sagt denn was normal ist, wie man sich zu verhalten hat, was man zu tun oder zu lassen hat? Die Gesellschaft, die Politik, die Industrie oder gar die „Elite"?
Vor einigen Jahren noch war es völlig normal, dass man von seiner Hände Arbeit vernünftig leben konnte. Als genormte und anständige Bürger ist es für uns heute normal, jeden Tag für einen Lohn zu malochen, der kaum noch zum Leben reicht. Für Kinder war es normal, sich im Schlamm zu wälzen oder durch den Wald zu streifen. Die Normen haben sich geändert und heute wird es als normal angesehen, dass Kinder vor Spielekonsolen oder Handys vereinsamen. Ein schmutziges Kind gilt heute als unnormal und ein tobendes Kind hat ADHS.
Es gibt Verhaltensregeln allerorten und der genormte Mensch wird immer wieder in die Falle des Unnormalen tappen. Sich ständig ändernde Regeln, Vorschriften und Gesetze schränken die Individualität dermaßen ein, dass kaum noch Luft zum Atmen bleibt. Irgendetwas an Taten oder Verhalten könnte als nicht normal gewertet und geahndet werden.
Auch unsere Hunde haben wir genormt. "Experten" und Wissenschaftler geben vor, wann ein Hund sich normal verhält und wann nicht. Alles wurde an der menschlichen Gesellschaft gemessen und das Wesen Hund hat sich dieser unterzuordnen.
Ein bellender Hund macht Lärm und nach 22 Uhr hat er die Klappe zu halten. Ein Hund hat an der lockeren Leine zu laufen und jagen geht ja nunmal gar nicht. Dass Hunde Autofahren aushalten müssen ist in unserer mobilen Zeit völlig normal, ebenso dass alle Besucher freudig empfangen werden müssen. Entspricht der Hund nicht diesen Normen nennt man ihn verhaltensauffällig. Der Mensch will es so und basta!
In dieser normalen Erwartungshaltung wird meist übersehen, dass Hunde die menschlichen Normen nicht kennen und immer noch wie Hunde reagieren und sich entsprechend verhalten. Dazu gehört auch, dass sie weder die Uhrzeit kennen noch irgendeinen genormten Verhaltensratgeber gelesen haben.
Jagen, Bellen, Wachen, Schützen und auch Verteidigen ist aus Sicht der Hunde völlig normal, nur für den Menschen nicht. Dieser fühlt sich in seiner genormten Komfortzone gestört und schickt den Hund ins Bootcamp. Der nicht nach menschlichen Normen funktionierende Hund braucht eine Resozialisierung, um in das gesellschaftliche Raster zu passen.
Vorangetrieben werden diese genormten Erwartungshaltungen durch unzählige Ratgeber, Fernsehsendungen und Vorführungen vermeintlich perfekt genormter Hunde im Internet.
Bei allen Normen wird eines außer Acht gelassen. Mensch und Hund sind Lebewesen mit verschiedenen Stärken, Schwächen und auch Kompetenzen. Nicht jeder kann alles und für manche Dinge sind Mensch und Hund absolut talentfrei. Mensch ist nicht gleich Mensch und Hund ist nicht gleich Hund.
Dieses Hineinpressen in die gesellschaftlichen Normen überfordert mehr und mehr Menschen und auch Hunde. Die Erwartungen sind hoch, werden immer höher und fordern ihren Tribut.
Wer es immer nur den anderen recht machen will um der Norm zu entsprechen, verbiegt sein Ich und verliert seine Authentizität.
Wer seinen Hund nach den vorgebenden Normen formen will, wird eventuell einen gehorsamen Hund bekommen, der sein Wesen dem Menschen unterordnet. Das wahre Wesen seines Hundes wird er aber niemals kennenlernen. Genormte Lebewesen sind niemals echt und irgendwann sucht sich der Frust seinen Ausweg, wir nennen es Problemverhalten.
Eine Gemeinschaft braucht Regeln und Grenzen, die Orientierung geben und ohne gegenseitige Rücksichtnahme ist ein Zusammenleben kaum möglich.
Wer aber immer nur der Norm entsprechen will, wird sich selber niemals finden und immer nur neidisch auf diejenigen blicken, die es gewagt haben, sich den gesellschaftlichen Zwängen zu entziehen.
Seien Sie Sie selbst und lassen Sie Ihren Hund auch mal Hund sein, auch wenn es nicht immer in den Augen anderer als normal erscheint und Sie so manche schiefe Blicke erreichen werden.
Vielleicht sind diese Blicke aber auch eine heimliche Bewunderung für Ihren Mut, den diese Leute niemals aufbringen werden.
Glückliche Menschen werden glückliche Hunde haben, auch oder weil sie nicht der Norm entsprechen. Glück und Zufriedenheit kann man nicht normen, auch wenn die Werbung uns etwas anderes einreden will. Was für den einen das ganz große Glück bedeutet, kann für einen anderen das pure Unglück sein.
Hunde und Menschen sind niemals in eine Form pressbar. Jeder ist auf seine Art und Weise einzigartig und besonders. Wir können voneinander lernen und uns entwickeln, wenn wir uns gegenseitig achten und über so manche vermeintliche Schwäche der anderen hinwegsehen.
Nichts und niemand ist perfekt und das ist gut so!
Hunde haben sich den Menschen als Sozialpartner zu einer Zeit gewählt, als es noch normal war, sich auf seine Instinkte und seinen gesunden Menschenverstand zu verlassen. Heute wählen sich viele Menschen den Hund als einzigen Sozialpartner aus, weil sie in der genormten sozialen Einsamkeit nicht mehr zurecht kommen und Unterhaltung brauchen.
Dass Hunde diesen Anspruch nicht gerecht werden können, liegt auf der Hand. Sie können uns aber auf unserem Weg zur eigenen Normalität begleiten und unterstützen, auch wenn man dabei manchmal die gesellschaftliche Norm verlassen muss.
Von Hunden lernen heißt Leben lernen aber „Erst wenn der Mensch sich ändert!".
©️Marion Höft
