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Mensch und Hund und die große allgemeine Verunsicherung


Hundetrainerin Marion Höft: Mensch und Hund und die große allgemeine Verunsicherung
Hundetrainerin Marion Höft: Mensch und Hund und die große allgemeine Verunsicherung

Viel wird geschrieben und noch mehr erzählt. Jeder weiß etwas anderes, jeder empfiehlt eine andere Methode und die Wissenschaft überrascht mit immer neuen Erkenntnissen über die Funktionsweisen der Hunde.


Hinzu kommt der Onlinehundemarkt. Auf vielen verschiedenen Seiten werden Hunde mit den rührendsten Beschreibungen angepriesen. Bello leidet so sehr, die kleine Luna wird gemobbt und muss vor den anderen bösen Hunden gerettet werden, Fiffi sucht dringend ein warmes Körbchen oder die süße Maya sitzt auf einem gepackten Köfferchen. Die allermeisten Hunde werden als lieb beschrieben, die noch nie Auffälligkeiten gezeigt haben. Mitgeliefert wird natürlich die unendliche Dankbarkeit der Hunde und das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. 


Diese Hunde kommen zu Menschen die zwar wissen wen sie sich geholt haben, aber nicht mehr was. Dass Hunde trotz aller optischen Veränderungen immer noch Jagdraubtiere und Beutegreifer sind, stand nicht in der Beschreibung. 


Vorab wurden zwar Ratgeber studiert die aufgezeigt haben, wie leicht es doch ist, einen Hund, egal welchen, zu trainieren und somit gefügig zu machen. Beherrscht der Hund die Grundkommandos steht er im Grundgehorsam und der Familienhund ist erschaffen. So einfach soll es sein?


Zusätzlich hilft die Wissenschaft den Menschen, die Funktionsweisen der Hunde zu erklären. Man erfährt wie ein Hund am besten lernt, wie sein Gehirn oder die Verdauung funktioniert. Auch hier wird das Thema Hund im Allgemeinen betrachtet und erforscht. Unberücksichtigt bleiben die Einzigartigkeiten eines jeden einzelnen Hundes. Es verwundert daher nicht, dass regelmäßig neue wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlich werden, die die alten als überholt darstellen. Ja was denn nun?


Ebenso kommen immer neue Erziehungsmethoden auf den Markt. Die Zahl der  Grundkommandos wird stetig erweitert, Click for Blick, positive Verstärkung, operante Konditionierung oder auch die berühmt berüchtigte Rütteldose. Ich habe sicher einige Methoden vergessen. Welche soll es denn nun sein? Am besten die, die am lautesten angepriesen wird. Wer schreit hat recht, oder doch nicht?


Neuerdings sprießen Onlinehundeschulen wie Pilze aus dem Boden. Bedient wird der Markt der digitalen Generation. Gezeigt werden einfache Übungen, die auf alle Hunde und auch ihre Menschen übertragbar sein soll. Die Versprechungen sind groß, Hauptsache Mensch ist zufrieden. Der Charakter des eigenes Hundes ist nicht so wichtig. Hund ist doch Hund, so wird es berichtet. Ist dem wirklich so?


Weiter geht es mit Nachbarn, Freunden oder Bekannten. Jeder hat andere Erfahrungen, jeder sagt wie der Hund zu sein hat und so wie es gemacht wird, ist  total verkehrt. Was stimmt denn jetzt nun?


Wenn es um den Hund geht möchte man lauthals losschreien „Leute gehts eigentlich noch"? Es sind Hunde, einfach nur Hunde. 


Sehen wir der Realität ins Auge erkennen wir, dass etwas im Verständnis und im Umgang mit Hunden gewaltig schief läuft. Wir wissen heute so viel und doch so wenig. 


Wir wissen wie man einen Hund trainiert, aber nicht wie man ihn führt. Wir wissen wie man einen Hund befiehlt, aber nicht wie man ihm Orientierung gibt. 


Angefeuert von der Industrie mit den neuesten psychologischen Finessen  werden Hunde zunehmend vermenschlicht und verniedlicht. Süß, kuschelig, goldig oder lieb hört man von allen Seiten. Der Mensch will es so sehen. Dass der Hund unsicher oder ängstlich ist, bereits erste Warnungen sendet oder mit der Situation überfordert ist, wird nicht gesehen. Das passt nicht ins moderne Heileweltbild.


Die Zahl der Tierheiminsassen oder auch die unzähligen Suchen nach einem neuen Zuhause sprechen eine deutliche Sprache und sollten uns wachrütteln. Sie zeigen uns mit aller Deutlichkeit auf, dass wir uns in Bezug auf unsere Hunde verirrt haben. Dass wir uns von immer mehr Meinungen, Erkenntnissen oder Studien haben verunsichern lassen. 


Es braucht keine Wissenschaft um zu erkennen, dass es die eine Methode für alle nicht geben kann. Jedes Lebewesen ist anders, hat seine Stärken, Schwächen und auch Kompetenzen. Wenn man miteinander klarkommen will, gilt es diese zu erkennen und zu lernen, mit diesen umzugehen. Auch Hunde müssen gefördert und gefordert werden. Dies geht jedoch nur individuell. 


Es braucht keine weiteren Methoden, keine vermeintlich artgerechten Hilfsmittel, oder immer neue wissenschaftliche Ratgeber. Die rasant steigende Zahl der „Problemhunde" zeigt uns, dass wir damit krachend gescheitert sind. 


Hunde brauchen wieder Menschen, die über einen gesunden Menschenverstand verfügen sowie das Herz am rechten Fleck haben. Sie brauchen Menschen, die authentisch sind und standhaft bleiben. Sie brauchen Menschen die sich nicht vom ersten Lüftchen verunsichern lassen, sondern ihren Weg gehen. 


Hunde brauchen Menschen, die die rosarote Brille ablegen und bereit sind zu sehen was zu sehen ist, und nicht was andere sagen was sie sehen sollen. 


Hören wir auf mithilfe von Ratgebern zu analysieren, was der Hund falsch macht und fangen wir an, uns die Frage zu stellen warum der Hund reagiert wie er reagiert. Diese Antwort können wir nicht googeln, die Antwort geben uns die Hunde. Jeder für sich!


Grundvoraussetzung für eine gute Beziehung ist eine gelungene Kommunikation. Anstatt unsere wertvolle gemeinsame Zeit damit zu vergeuden, die Hunde auf einen Truppenübungsplatz zu schleppen, um ihnen Befehle erteilen zu lernen ist es an uns, die Sprache der Hunde zu lernen. Wir müssen wieder lernen sie zu lesen und ihre wahren Bedürfnisse zu verstehen. 


Wir sollten uns verhundlichen und nicht andersrum! Lernen wir aus alten Fehlern und haben den Mut, neue Wege zu beschreiten. Dann kommen wir der Welt unserer Hunde wieder näher. Es ist eine Welt, in der es keine Kommandos, Hilfsmittel oder Wissenschaft gibt. 


Es ist eine Welt, die nach Präsenz und Authentizität verlangt. Es ist eine Welt, in der klar und eindeutig kommuniziert wird. Eine Welt, die keineswegs derart kompliziert ist, wie uns von allen Seiten eingeredet wird. 


Am Ende dieses Artikels stellt sich mir eine Frage: Wie haben es Menschen und Hunde nur geschafft, gemeinsam ohne all dieses Gedöns zu überleben?


Vielleicht weil weniger mehr ist?


©Marion Höft

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